So schmeckt Heilung
Die Pharmakologie des Geschmacks mutet auf den ersten Blick philosophisch bis esoterisch an, doch bei genauer Betrachtung steht sie in keinem Widerspruch zu wissenschaftlich greifbaren Fakten. Viel wichtiger ist, dass der Geschmack ein tieferes Verständnis der Wirkansätze und Einsatzmöglichkeiten von Arzneipflanzen und Lebensmitteln eröffnet.
Die rationale Phytotherapie versucht, die Wirkungen von Arzneipflanzen über deren Inhaltsstoffgefüge zu erklären, auch die moderne Ernährungslehre tut dies, jeweils mit wechselnd befriedigenden Ergebnissen. Ein vermeintlich wirksames Prinzip in einem identifizierten Hauptinhaltsstoff erweist sich nicht selten als Trugschluss. Entweder ist er nach der Isolierung nicht wirksam, oder er zeigt nach Isolierung und Anreicherung unerwünschte Wirkungen, die bei der Ursprungspflanze nie beobachtet wurden. Es mutet schon sehr verwegen an, wenn man unter vielen hundert Inhaltsstoffen, die auch schnell in die Tausende gehen, einen einzelnen zum wirksamen Prinzip erklärt und den Rest als Beiwerk verwirft. Selbst unter dem Aspekt naturwissenschaftlicher Chemie (respektive Biochemie) ist ein solches Vorgehen sehr diskussionswürdig.
„Heilpflanzen sind keine verunreinigten Arzneimittel, sondern Idealkomplexe der Natur.“ (Autor unbekannt)
„Wirkanalyse“ über den Geschmack
Die TEM nähert sich dem komplexen Gefüge der Inhaltsstoffe einer Arznei über die Lehre der Wirkungen der Geschmacksrichtungen an. Die Interaktionen des Inhaltsstoffkomplexes ergeben das Geschmacksgefüge einer Arznei, jeder einzelne Stoff trägt zur Entwicklung und Modifikation von Geschmack und Geruch bei. Von welcher Tragweite Geruch und Geschmack sind, zeigt sehr beispielhaft die erst kürzlich gewonnene Erkenntnis, dass die nervenberuhigenden Wirkungen des Lavendels einzig und allein vom Geruch induziert werden. Vor ebenfalls sehr kurzer Zeit wurde von der klinischen Wissenschaft entdeckt, dass ein Großteil der Gewebe des Menschen, wahrscheinlich sogar alle Gewebe und Organe, Geruchs- und Geschmacksrezeptoren besitzen. Das bedeutet nun ganz banal formuliert, dass die Gewebe am Blut, der Lymphe und der interstitiellen Flüssigkeit riechen und schmecken. Die wahrgenommenen gustatorischen und olfaktorischen Qualitäten, ausgehend von Blut und Lymphe, führen im Gewebe zu Funktionsänderungen und Reaktionen. Dabei spielen wohlgemerkt Geruchs- und Geschmacksstoffe eine Rolle, nicht bioaktive Wirkstoffe im herkömmlichen Sinne. Diese riech- und schmeckbaren Qualitäten werden zum Teil von außen zugeführt, über Nahrungsmittel oder Arzneipflanzen. Sie entstehen aber auch im eigenen Stoffwechsel. Unter letzterem Blickwinkel gewinnt die Schärfenlehre der TEM ein ganz neues Gewicht, Phänomene wie „süßes Blut“ oder „ranzige Schärfe“ sind keine Lächerlichkeit, sondern biologische Fakten. Es ist auch bekannt, dass alleine der wahrgenommene Geschmack im Mund bereits Reaktionen in Funktionen der Verdauungsorgane und des Stoffwechsels auslösen kann. Die Reaktionen erfolgen dabei ohne biochemisch-pharmazeutische Effekte eines resorbierten Wirkstoffs. In der TEM spielen Geschmack und Geruch deshalb völlig zu Recht eine wichtige Rolle bei der Beurteilung pharmakologischer Effekte einer Arznei. Sag mir, wie es riecht und schmeckt, und ich sage dir, wie es wirkt. Die Wahrnehmung des Geschmacks stellt immer eine Gesamtleistung von Geschmacks- und Geruchssinn dar, sodass in der Geschmackswahrnehmung bereits Informationen des Geruchssinns integriert sind.