Schwerpunkt
Naturheilpraxis 02/2019

Immunologie für die naturheilkundliche Praxis

Übersicht über praxisrelevante Immundiagnostik und Therapie

Nach fast dreißig Jahren Berufspraxis in der Komplementärmedizin bin ich der festen Überzeugung, dass ein tief greifendes Verständnis immunologischer Zusammenhänge für eine gewissenhafte Ausübung der Heilkunde essenziell ist. Die Immunphysiologie und Pathologie ist relativ abstrakt, vielleicht ein Grund dafür, dass viele Kolleginnen und Kollegen davor zurückschrecken, sich intensiv mit der Thematik Immunsystem zu beschäftigen.

Ein Beitrag von Thomas M. Thust
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Auf der anderen Seite wird im Berufsstand recht schnell zu immunmodulierenden Medikamenten oder Verfahren wie Misteltherapie, Echinaceatropfen oder Eigenblut gegriffen, um irgendetwas – relativ Unbestimmtes – im Immunsystem zu bewirken. Dadurch können durchaus auch „schlafende Hunde geweckt“ werden. Mit Mistelinjektionen kann man beispielsweise auch eine bislang latent schwelende Autoimmunerkrankung klinisch manifest zum Leben erwecken. Jede über eine akute und damit zeitlich stark beschränkte Behandlung hinausgehende Immunmodulation sollte daher immer mit einer Immundiagnostik beginnen. Damit wird die immunologische Ausgangssituation abgebildet und die Basis für eine zielgerichtete Behandlung gelegt. Das ist besonders wichtig, da sehr viele Erkrankungen mit Immundysbalancen und Inflammationsgeschehen kausal zusammenhängen und therapeutisch nur über Immunstimulation oder -suppression erreichbar sind.

EinfacheImmundiagnostikundFolge-/Stufendiagnostik

Bereits ein Differenzialblutbild ermöglicht eine erste grobe Beurteilung des Immunsystems. Erhöhte Eosinophile sind ein Hinweis auf Allergien, Autoimmunerkrankungen oder parasitäre Infektionen (Würmer). Die Verschiebung zugunsten der Eosinophilen kann aber zunächst auch ohne spezielle Erkrankung nur eine grundsätzliche Diathese zeigen, beispielsweise im Sinne einer proallergischen Immundysbalance zugunsten von TH2-Zellen (TH2-Shift). Mehr Erklärendes dazu später in diesem Beitrag. Neutrophile und Monozyten sind bei bakteriellen Infekten und sonstigen Immunaktivierungen, z. B. bei chronischer oder stiller Inflammation, erhöht und treten im Allgemeinen flankierend bei einer TH1-Aktivierung des Immunsystems auf. Im Routinelabor bestimmen wir dann noch die Antikörper. Ein Antikörpermangel (IgA, IgG) kann zusammen mit anamnestisch beschriebener Infekthäufung auf einen gravierenden Immundefekt hinweisen. Ein Überschuss an Antikörpern kann auf ein B-Zell-Lymphom oder ein multiples Myelom deuten. Selektiv erhöhtes IgE kann als Hinweis auf Allergien oder TH2-Dysbalance gewertet werden.