Druck lass nach – Erfahrungen eines Klinikers
Erhöhter bzw. hoher Blutdruck und Herzrhythmusstörungen sind ein häufiger Anlass für eine Dauermedikation. Viele Patienten, die in der naturheilkundlichen Praxis nach ihrer Medikamenteneinnahme befragt werden, geben Betablocker, Kalziumantagonisten, ACE-Hemmer oder einen anderen Blutdrucksenker bzw. Kombinationen an. Was sollte jeder Praktiker über die klinischen Medikamente wissen und was bringt der Einsatz von Biofaktoren wie Mineralstoffen und Vitaminen?

Prof. Dr. med. Klaus Kisters, Chefarzt am St. Anna Hospital in Herne, und Leiter des dortigen Hypertoniezentrums, hat sich intensiv mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und der Rolle von Magnesium, Kalium und Vitamin D3 beschäftigt. Mit ihm haben wir über die Probleme von Bluthochdruck und Rhythmusstörungen sowie den richtigen Einsatz unter anderem von Magnesium, Natrium und Kalium sowie Vitamin D3 gesprochen.
Herr Prof. Kisters, die meisten Patienten dürften ihren Bluthochdruck bzw. Rhythmusstörungen bei ihrem Hausarzt einstellen lassen. Mit welchen Fällen haben Sie es in der Klinik zu tun?
Bluthochdruck ist die häufigste internistische Erkrankung und es leidet etwa jeder zweite Patient im Alter an einer Hypertonie, sodass auch wir in der Klinik mit Hypertonie-Patienten zu tun haben. Im Falle der Herzrhythmusstörungen stellen sich häufig Patienten mit Vorhofflimmern oder Extrasystolen vor. Bei den Patienten geht es entweder um eine Neueinstellung der Therapie oder um eine Verbesserung der bereits bestehenden Therapie. Und bei all den Patienten sollte an einen Magnesiummangel gedacht werden bzw. dieser bei Bedarf durch eine entsprechende Supplementierung ausgeglichen werden.
Können Sie unseren Lesern einen Überblick über die heute üblichen Blutdrucksenker und ihre Wirkmechanismen geben?
Gerne. Heutzutage werden als Mittel der ersten Wahl Hemmstoffe des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems wie ACE-Hemmer oder Sartane eingesetzt, weiterhin Kalziumantagonisten, Betablocker, Diuretika und andere. Kommen wir zu den Wirkmechanismen. Diuretika beeinflussen die Nierentätigkeit und bewirken so eine Drucksenkung in den Blutgefäßen. ACE-Hemmer hingegen senken den Blutdruck, indem sie in das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System eingreifen und die Synthese des blutgefäßverengenden Angiotensin II blockieren. Die glatten Muskelzellen in den Blutgefäßen ziehen sich weniger stark zusammen und der Blutdruck sinkt. Sartane greifen ebenfalls in das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System ein und hemmen selektiv den AT1-Rezeptor, wodurch das Angiotensin II nicht mehr andocken kann.
Betablocker wiederum verlangsamen den Herzschlag, schirmen das Herz gegen die Wirkung von Stresshormonen ab und wirken so blutdrucksenkend. Und Kalziumantagonisten schließlich verringern den Einstrom von Kalziumionen ins Innere der Herzmuskelzelle. So wird die Kontraktilität der Gefäßmuskelzellen der Koronararterien herabgesetzt, was die Blutgefäße erweitert und die kalziumabhängige Energiebereitstellung für die Herzmuskelkontraktion verringert.
Was sollte der Naturheilkundler über Neben- und Wechselwirkungen dieser Medikamente wissen?
Kommen wir zunächst auf die Nebenwirkungen zu sprechen. Bei Medikamenten aller Substanzklassen können Symptome wie Benommenheit und Schwindel, Blutdruckabfall, Hautreaktionen und Magen-Darm-Beschwerden auftreten. Daneben gibt es noch einige spezifische Beschwerden, abhängig vom Wirkstoff. Müdigkeit, Schlafstörungen, langsamer Herzschlag, Kopfschmerzen und Herzklopfen werden bei den Kalziumantagonisten beschrieben. Zu Husten, Ödemen und einer Hyperkaliämie kann es bei ACE-Hemmern und Sartanen kommen und unter einer Diuretikatherapie werden erhöhte Harnsäurespiegel, Durst und Insulinstoffwechselstörungen beobachtet. Betablocker können zu Asthmaanfällen und Potenzproblemen führen.
Bei den Wechselwirkungen ist daran zu denken, dass ACE-Hemmer und Sartane nicht miteinander kombiniert werden sollten, da es häufiger zu Komplikationen und Nebenwirkungen kommt. Betablocker sollten nicht in Kombination mit den Kalziumantagonisten Verapamil oder Diltiazem eingenommen werden, weil sich die Wirkungen verstärken. Bei anderen Kalziumantagonisten wie Amlodipin gilt diese Einschränkung nicht.
Vielleicht für Ihre Leser ebenfalls von Interesse? Die aktuelle europäische Leitlinie für die Behandlung von Bluthochdruck. Danach soll die medikamentöse Therapie zur Blutdrucksenkung primär als Zweifach-Kombination aus ACE-Hemmern oder Sartanen und Kalziumantagonist oder Thiaziddiuretikum erfolgen, während eine Monotherapie als Erstlinientherapie ausgedient hat.
Schauen wir uns nun die Bedeutung von Magnesium, Kalzium, Kalium und Natrium für Blutdruck und Herzrhythmus sowie deren Wechselwirkungen genauer an.
Interaktionen zwischen Magnesium und Kalzium finden intrazellulär statt. Magnesium und Kalzium können durchaus gleichzeitig resorbiert werden. Für das Herz ist die Funktion von Magnesium als physiologischer Kalziumantagonist sehr wichtig. Magnesium kann nämlich tatsächlich eine natürliche Alternative zu den klassischen Kalziumantagonisten sein. Umgekehrt kann ein Magnesiummangel die neuromuskuläre Erregbarkeit aufgrund des verstärkten Kalziumeinstroms an der Zellmembran erhöhen, was den erhöhten Gefäßtonus bei Hypertonikern verursacht.
Ebenfalls wichtig für die Blutdruckregulation ist eine Balance zwischen Kalium und Natrium und nicht zuletzt auch zwischen diesen beiden und Magnesium. Es ist zunächst einmal gut dokumentiert, dass ein erhöhter Blutdruck bei reduzierter Natriumzufuhr effektiver gesenkt werden kann. Und eine Blutdrucksenkung durch die Biofaktoren Magnesium und Kalium gelingt nachhaltiger, wenn weniger Natrium bzw. Kochsalz aufgenommen wird.
Wie wird dieser Prozess gesteuert? Dies geschieht über die in der Zellmembran verankerte Natrium-Kalium-Pumpe, also die Na+/K+-ATPase. Das Enzym katalysiert unter Hydrolyse von ATP und Energieverbrauch den Transport von Kaliumionen in die Zelle und von Natriumionen aus der Zelle. Und hier kommt dann Magnesium als essenzieller Cofaktor zur Aktivierung der ATP-Hydrolyse ins Spiel. Da die Natrium-Kalium-Pumpe also magnesiumabhängig ist, sinkt im Magnesiummangel die intrazelluläre Kaliumaufnahme. Ohne Magnesium bleibt eine Kaliumsupplementierung quasi wirkungslos. Es resultiert eine sogenannte Kaliumdepletion und das Risiko für die Entwicklung einer Hypertonie, von Rhythmusstörungen und weiteren Herz-Kreislauf-Erkrankungen steigt an.
Außerdem existiert ein Natrium-Magnesium-Antiport. Dieser hat eine besondere Bedeutung bei der essenziellen Hypertonie und auch bei der Präeklampsie.
Neben den genannten Mineralstoffen spielt auch der Synergismus zwischen Magnesium und Vitamin D3 eine wichtige Rolle. Vitamin D3 benötigt Magnesium für seine Umwandlung von der Speicherform Calcidiol in den aktiven Metaboliten Calcitriol und fördert die intestinale Magnesiumresorption.
Was kann man von Magnesium im Hinblick auf den Blutdruck und Herzrhythmus erwarten?
Viel. Magnesium ist tatsächlich von großer Bedeutung für das Herz. Der Biofaktor spielt eine Schlüsselrolle bei der Modulation der neuronalen Erregung, intrakardialen Überleitung, Herzmuskelkontraktion und der Regulation des Gefäßtonus.
Die Relevanz eines Magnesiummangels bei der Entwicklung von Herzrhythmusstörungen ist heutzutage gut dokumentiert. Ein Magnesiumdefizit, das zu einer Übererregbarkeit der Herzmuskelzellen und dadurch zu Rhythmusstörungen führen kann, sollte daher stets ausgeglichen werden. Das gilt vor allem für Patienten, die bereits unter Herz-Kreislauf-Erkrankungen leiden. Diese Patienten sind nämlich besonders gefährdet, Herzrhythmusstörungen zu entwickeln. Vor allem Rhythmusstörungen vom Torsades-de-Pointes-Typ sprechen auf eine Magnesiumtherapie an. Auch ist ein positiver Einfluss von Magnesium auf supraventrikuläre Tachykardien und eine gehäufte Extrasystolie beschrieben worden. In der Regel wird Magnesium bei diesen Patienten i.v. verabreicht. Es sind allerdings auch Studien bekannt, die den Nutzen einer oralen Magnesiumsupplementation zeigen konnten.
Im Hinblick auf erhöhten Blutdruck interessiert die Wirkung von Magnesium als physiologischer Kalziumantagonist. Magnesium wirkt gefäßerweiternd und blutdrucksenkend. Im Magnesiummangel kann es im Umkehrschluss also über den gesteigerten Gefäßtonus zu einem Blutdruckanstieg kommen. Auch Studien konnten die inverse Korrelation zwischen Magnesium und dem erhöhten Risiko für die Entwicklung einer Hypertonie gut dokumentieren. Außerdem – und das ist für mich als Mediziner noch wichtiger – kann ein erhöhter Blutdruck durch Magnesiumsupplemente signifikant gesenkt werden. Dies zeigen nicht zuletzt verschiedene Metaanalysen von kontrollierten, klinischen Studien sehr eindrucksvoll, und das übrigens auch bei oral eingenommenem Magnesium. Die blutdrucksenkende Wirkung ist ab einer Tagesdosis von 300 mg Magnesium oral über eine Dauer von etwa einem Monat zu erwarten. Allerdings muss bei Patienten mit einem schweren Magnesiumdefizit die Tagesdosis im Einzelfall auch deutlich höher angesetzt werden. Das kann dann schon mal bis in den Grammbereich gehen. Patienten mit Grenzwerthypertonie und Hypertonie Grad I profitieren von einer solchen Mono-Magnesiumanwendung. Und bei Hypertonie Grad II und III ist die Blutdrucksenkung sowohl für den systolischen als auch diastolischen Blutdruck ungefähr doppelt so hoch.
Wie gehen Sie vor hinsichtlich der Kombination mit den anderen Mineralstoffen?
Die Bedeutung von Kalium auf den Blutdruck hatte ich bereits angesprochen. Kalium ist zudem an der Aufrechterhaltung eines gesunden Herzrhythmus beteiligt. Unter einer Hypokaliämie nimmt der Kaliumgradient an der Zellmembran zu und die elektrische Stabilität der Zellen im Herzen verringert sich. Dadurch kann der Herzrhythmus aus dem Gleichgewicht geraten und es resultieren Herzrhythmusstörungen, ventrikuläre und supraventrikuläre Extrasystolen und Tachykardien. In schweren Fällen kann es auch zu Kammerflimmern und einem plötzlichen Herztod kommen.
Aufgrund positiver Studienergebnisse empfiehlt die WHO Hypertonie-Patienten, entgegen früherer Statements, mindestens 3,5 g Kalium pro Tag – auch durch Supplemente – aufzunehmen. Diese Empfehlung ist deshalb erwähnenswert, weil aufgrund der klinischen Symptome einer Hyperkaliämie die Kaliumversorgung bisher ausschließlich über kaliumreiche Lebensmittel wie Obst und Gemüse erfolgen sollte.
Neben Kalium ist auch auf den Vitamin-D3-Status zu achten. Ein Vitamin-D3-Mangel wird ebenfalls als Risikofaktor für die Entwicklung einer Hypertonie angesehen, und ein guter Vitamin-D3-Status mit Calcidiolwerten über 50 nmol/l kann sich blutdrucksenkend auswirken. An dieser Stelle vielleicht ein paar Sätze generell zur Vitamin-D3-Dosis. Ich lehne sehr hohe Tagesdosen oder auch mehrmals wöchentliche Gaben im Zehntausender-Einheiten-Bereich ab. Zur Supplementierung empfehlen sich stattdessen Tagesdosen zwischen 800 und 2 000 IE Vitamin D3. Diese Empfehlung deckt sich auch mit den Ergebnissen klinischer Studien. Lediglich bei anhaltendem Mangel, bei adipösen Patienten oder bei Patienten mit Resorptionsstörungen können höhere Vitamin-D3-Tagesdosen bis 4 000 IE nötig sein. Wir dürfen nicht vergessen, dass es sich bei Vitamin D3 um ein fettlösliches Vitamin handelt und ein Überschuss nicht vom Körper ausgeschieden werden kann.
Welche nicht-medikamentösen Methoden haben sich Ihrer Erfahrung nach bewährt?
Tatsächlich kann der Patient selbst für seine Herzgesundheit einiges tun. Risikofaktoren wie Übergewicht, Rauchen, unkontrollierter Alkoholkonsum oder eine Hyperlipidämie sollten vermieden bzw. abgebaut werden. Ein metabolisches Syndrom oder ein Typ-2-Diabetes sollten behandelt werden, um einer Hypertonie und generell Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorbeugen zu können.
Dass sich ein Lebensstil mit gesunder, vollwertiger Ernährung, genug Schlaf, aber auch körperlicher Bewegung bzw. generell ein Gleichgewicht zwischen Entspannung und körperlicher Belastung positiv auf das Herz auswirken kann, ist ja hinlänglich bekannt. Insbesondere der Aspekt der körperlichen Bewegung kann jedoch nicht oft genug betont werden. Wer regelmäßig ein moderates aerobes Ausdauertraining absolviert – und das gilt übrigens auch im fortgeschrittenen Alter – kann tatsächlich allein dadurch den Blutdruck senken, die Herzmuskelfunktion verbessern und die Anzahl und Schwere von Herzrhythmusstörungen verringern. Das Herz wird wieder belastbarer und leistungsfähiger, und schweren kardiovaskulären Ereignissen kann gezielt vorgebeugt werden. Das heißt aber jetzt bitte nicht, dass jeder Hypertonie- oder Herzpatient einfach drauflos läuft. Ein sportmedizinischer Gesundheitscheck mit EKG, Ultraschall und Belastungstest und eine regelmäßige Kontrolle während des Trainings sind zwingend notwendig. Auch Krafttraining mit nicht allzu schweren Gewichten kann helfen, einen erhöhten Blutdruck zu senken. Patienten sollten allerdings vorher abklären lassen, dass sie keine Organschäden wie eine Retinopathie oder eine Nephropathie entwickelt haben. Durch das Krafttraining kann der Druck auf die bereits geschädigten Organe nämlich zusätzlich ansteigen.
Neben ausreichend körperlicher Bewegung sind die Themen Entspannung und Entschleunigung für vorbelastete Patienten wichtig. Hier können spezielle Atemtechniken erlernt werden. Flaches Atmen erhöht den Blutdruck, tiefes Ein- und Ausatmen wirkt blutdrucksenkend und erhöht die Sauerstoffversorgung. Beispielsweise können Patienten mit der 4-7-11-Methode das Vertiefen ihrer Atmung trainieren. Hierzu wird vier Sekunden ein- und sieben Sekunden ausgeatmet und dieser Rhythmus elf Minuten täglich durchgehalten. Entspannungstechniken wie Yoga oder progressive Muskelentspannung können ebenfalls helfen, über eine verringerte Stresswahrnehmung und Einfluss auf das vegetative Nervensystem Puls und Blutdruck zu senken.
Herzlichen Dank für das Interview, Herr Professor Kisters.
Das Gespräch führte Andreas Beutel.
Die Gesellschaft für Biofaktoren e. V. (GfB) ist ein gemeinnütziger Verein, der das Ziel verfolgt, die wissenschaftlichen Grundlagen der Therapie und Prophylaxe mit Biofaktoren zu fördern. Weitere Informationen: www.gf-biofaktoren.de
Am 15. Oktober 2022 findet das jährliche Symposium der GfB als Online-Veranstaltung zum Thema „Biofaktoren und Bewegung. Welche Relevanz haben Vitamine und Mineralstoffe für Mobilität und Leistungsfähigkeit?“ statt.
Weitere Informationen erhalten Sie ebenfalls unter www.gf-biofaktoren.de.