Augendiagnose – vorwärts zu unseren Wurzeln
Bei wohl kaum einer diagnostischen Methode polarisiert die Einschätzung bezüglich ihrer praktischen Bedeutung stärker als bei der Augen- bzw. Irisdiagnose. Da ist einerseits die akademische Seite, die der Methode jegliche diagnostische Aussagekraft abspricht und sie als esoterischen Unfug abtut. Den anderen Pol bilden die Irisdiagnostiker, die darin ein so wichtiges analytisches Element bei der Erstellung ihrer Therapiekonzepte sehen, dass sie sich eine Praxisarbeit ohne Augendiagnose nicht vorstellen können.

Dieser Text ist der Versuch eines Praktikers, der seit über 35 Jahren augendiagnostisch arbeitet und diese Methode seit 30 Jahren auch lehrt, sich den Hintergründen dieser unterschiedlichen Einschätzungen zu nähern, um auf dieser Basis ein Modell für die Zukunft der Augendiagnose zu entwickeln.
Als ich 1981–84 meine Ausbildung zum HP an der Josef-Angerer-Schule in München machte, war es eine absolute Selbstverständlichkeit, die Augendiagnostik zu erlernen. Woher sonst sollte ich die Informationen über die systemischen Zusammenhänge bekommen, die ich für die Arbeit mit meinen späteren Patienten brauchen würde? Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich in den Vorlesungen verschiedener Dozenten saß, Skizzen von Iriszeichen anfertigte und mir die immer sehr differenzierte Bedeutung der einzelnen Zeichen notierte. Aber je weiter ich kam, umso deutlicher wurde ein Gefühl der Überforderung, das im Wesentlichen auf den folgenden Fragen basierte:
Wie soll ich mich in der riesigen Vielfalt der Iriszeichen, die in jedem Auge zu sehen sind, zurechtfinden? Wie kann ich differenzieren, welche dieser Zeichen für die Interpretation wichtig sind und welche nicht? Wie soll ich mit meinen beschränkten diagnostischen Möglichkeiten überprüfen, ob die gelehrten und in der Literatur beschriebenen Bedeutungen der Irisphänomene tatsächlich stimmen? Ist es wirklich so, dass eine spitze, in die Krausenzone eindringende Lakune gefährlicher ist als ihre runde Kollegin in der Ziliarzone? Ist es tatsächlich so, dass helle Reizradiären immer Zeichen für Entzündungen sind? Wieso sehe ich so viele helle Reizradiären in verschiedenen Sektoren bei Menschen, die offensichtlich kerngesund sind? Wenn Zickzackradiären schmerzhafte Prozesse anzeigen sollen, wieso sind sie auch dann dauerhaft und deutlich sichtbar, wenn keinerlei Schmerzen bestehen? Warum sind „Käsespitzen“ völlig anders zu interpretieren als andersförmige Tophi in Ziliarrand-Nähe? Diese Auflistung von Beispielen könnte ich beliebig fortsetzen.